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Heuschrecken als Bioindikatoren


Aufgrund der Lebensraumansprüche bestimmter Heuschreckenarten eignet sich diese Organismengruppe gut zur Charakterisierung und Zustandsbeurteilung von Trockenbiotopen. In dieser Hinsicht reagieren sie sogar noch empfindlicher als Tagfalter. Das heißt, schon bei mittleren Sukzessionsstadien mit zunehmender Beschattung und Vergrasung fallen in der Regel die wärmeliebenden Spezialisten unter den Heuschrecken weg, während die Tagfaltergemeinschaften durchaus noch hochwertig und vielfältig sein können.
Da im Gegensatz zu den Tagfaltern zu Beginn des BNN-Projekts Trockenbiotopverbund Staffelberg vergleichsweise wenig über Heuschreckenvorkommen bekannt war, wurde gleich im ersten Projektjahr (2003) eine umfassende Ausgangserfassung durchgeführt.
Und die brachte gleich einige Überraschungen:
Der Verkannte Grashüpfer (Chorthippus mollis, RL BAY 3, gefährdet) ist im Landkreis Lichtenfels sehr selten und war bislang nur mit einem isolierten Vorkommen in der Weismainalb bekannt. In einer Folgeuntersuchung 2004 wurde genau das Verbreitungsareal ermittelt, um später die Entwicklung der Population bei Uetzing verfolgen zu können. Auch völlig überraschend war der Nachweis einer zweiten neuen Art, und das mitten auf dem eigentlich gut untersuchten Staffelberg. Die Gefleckte Keulenschrecke (Myrmeleotettix maculatus, RL BAY 3, gefährdet) – eigentlich eher von sandigen bzw. bodensauren Lebensräumen her bekannt – lebt mit einer noch kleineren Population rund um den Scheffelfelsen.
Wichtig war auch der Kenntniszugewinn über die Verbreitung weiterer Spezialisten:
Die Westliche Beißschrecke lebt primär auf sehr steinigem, lückigen Untergrund. Eine starke Population hat sich am Morgenbühl etabliert, wo sie ihr Areal immer weiter auf die neuen beweideten Freistellungsflächen ausbreiten konnte. Weitere Vorkommen liegen am Weißen Lahma, am Deisenstein und am Nordwesthang des Staffelbergs. Von dort aus konnte die gut flugfähige Art trotz eines größeren Gehölzriegels bereits 2004 auch den entbuschten Südwesthang besiedeln. Trotz geeigneter Habitatstrukturen fehlte die Art im geschützten Landschaftsbestandteil „Steinbruch bei Uetzing“. Dieser könnte besiedelt werden, wenn sich das Netz aus entsprechenden Trittsteinbiotopen (z. B. die freigelegten Entwicklungsflächen in der Hühnerleite bei Frauendorf oder in der Kapellleite bei Uetzing) verdichtet.
Die Verbreitung des Warzenbeißers im Projektgebiet war aufgrund des mehrjährigen Entwicklungszyklus schwieriger zu ermitteln, da an manchen Standorten nicht in jedem Jahr Individuen nachzuweisen war. Eine besonders starke und garantiert in jedem Jahr anzutreffende Population lebt am Weinhügel bei Kaider. Zwar bekommt man die große, plump wie ein Frosch durch die Wacholderheide hopsende Langfühlerschrecke nicht oft zu Gesicht, doch ihr nach „Scherenschnippnen“ klingender, lauter Gesang ist unverkennbar. Zwei weitere Schwerpunktvorkommen befinden sich im Bereich Schwarzberg und Hochflächen bei Oberlangheim sowie Staffelberg Südhang – Löwental – Lerchenberg. Frühere Beobachtungen am Morgenbühl konnten während der Projektlaufzeit nicht bestätigt werden.
Die stark gefährdete Rotflügelige Schnarrschrecke (Psophus stridulus) ist ein typischer Bewohner beweideter Kalkmagerrasen. Die Art ist wegen der Flugunfähigkeit der Weibchen extrem ausbreitungsschwach. Wie in vielen Gebieten Bayerns hat sie auch im Landkreis Lichtenfels während der letzten 20 Jahre drastische Bestandseinbußen hinnehmen müssen. Momentan muss man davon ausgehen, dass lediglich sechs bis sieben echte Populationen (mit Männchen und Weibchen) im Jura überlebt haben, davon zwei in der Weismainalb, der Rest im Staffelbergjura. Daher lag ein Fokus der Begleituntersuchungen auf der Zielart.
Von ehemals sechs Vorkommen waren zu Projektbeginn 2003 nur noch drei - am Morgenbühl, Lerchenberg und Weißen Lahma - vorhanden. Eine weitere wurde am bislang nicht untersuchten Deisenstein neu entdeckt. Die Stärke dieser vier Populationen wurde 2004 - 2006 durch individuelle Markierung (Fang-Markierung-Wiederfang-Methode, analog zum Sandlaufkäfer) jährlich geschätzt und ihre lokalen Verbreitungsmuster erfasst. Die Luftbilder rechts dokumentieren die Arealveränderungen am Weißen Lahma nach den Auslichtungs- und Entbuschungsmaßnahmen kombiniert mit Aufnahme der Beweidung in den westlichen Teilflächen. Insgesamt kann eine Ausdehnung des Gesamtareals sowie eine Verschiebung der lokalen Schwerpunktvorkommen festgestellt werden. Suboptimale Teilbereiche (Rohboden ohne Vegetation) sind nun deutliche schwächer frequentiert, dagegen wird regenerierter, mit Kleinstrukturen ausgestatteter Magerrasen nun stärker besiedelt. Momentan deutet sich sogar eine lokale Trennung in Teilpopulationen an. über Erweiterungsankäufe soll den Lebensraum für die Schnarrschrecke am Weißen Lahma weiter optimiert werden und insbesondere die Barriere aus Kieferngehölz im Areal 6 beseitigt werden. ähnliche Tendenzen (Arealausdehnung/ Verschiebungen) waren auch am Morgenbühl und am Lerchenberg zu beobachten. Der Lebensraum am Deisenstein dagegen ist eine vom Wald umschlossene Magerraseninsel, der zwar graduell unterschiedlich, nahezu komplett von Psophus stridulus genutzt werden kann. Hier gilt es, die Biotopqualität langfristig zu erhalten. Jährlich stark schwankende Individuenzahlen wurden an allen vier Standorten festgestellt und sind offenbar nicht ungewöhnlich für diese Heuschreckenart. Dies verdeutlicht die begrenzte Aussagekraft einer einmaligen Bestandserhebung. Nur über kontinuierliche Kontrollen können Bestandstrends erkannt werden. Leider war 2007 eine vierte Kontrolle wegen schlechter Witterungsverhältnisse nicht möglich. Dennoch gelang in diesem Jahr ein überraschender Fund eines einzelnen Männchens am Weinhügel bei Kaider, wo die Art bisher noch nie nachgewiesen wurde. Möglicherweise lag hier eine erste Verfrachtung „via Schafherde“ vor (passiver Transport z.B. im Schafsfell). Das heißt, der indirekte Biotopverbund über die Erweiterung der Hutungsareale des Wanderschäfers und deren Vernetzung im Projektgebiet vom Staffelberg im Norden bis zum Weißen Lahma im Süden könnte bereits Wirkung zeigen. Noch ungeklärte Fragen wirft die Situation am Spitzberg auf. In den 1990er Jahren war hier noch eine starke Population. Letzte Beobachtungen einzelner Tiere datierten von 2001. Von 2003 bis 2005 gelangen hier trotz intensiver Nachsuche keine Nachweise mehr. 2006 wurden wieder etwa 5 Tiere beobachtet (Männchen und Weibchen), eine Nachkontrolle 2007 verlief wieder negativ. Ob es sich hier um eine kryptische Restpopulation oder um Verfrachtungen vom nahen Lerchenberg handelt, bleibt unklar.
Als typische Frühsommerart wird die Feldgrille (Gryllus campestris, RL BAY 3, gefährdet) bei den regulären Heuschreckenerhebungen im Hoch- und Spätsommer nicht adäquat erfasst, denn zu diesem Zeitpunkt sind nur die stummen Larvenstadien unterwegs. über ihren lauten unverkennbaren Gesang war sie quasi nebenbei während Freilandterminen gut zu erfassen und so konnte ein Verbreitungsbild gewonnen werden. Diese Daten, die sich aus Aufzeichnungen der LBV-Kartierer des Wendehals-Monitorings, des Geschäftsführers und des Projektleiters zusammensetzten, erwiesen sich als sehr aufschlussreich. Was in der unmittelbaren Umgebung des Staffelbergs so selbstverständlich schien („die Feldgrille ist überall präsent“), war bei Gesamtbetrachtung des Projektgebiets doch anders. Und das kommt nicht von ungefähr, hat doch die Feldgrille in den vergangenen Jahrzehnten auf überregionaler Ebene drastische Arealverluste hinnehmen müssen. Im benachbarten Landkreis Coburg ist sie inzwischen verschollen. Im Projektgebiet gab es offensichtlich zwei getrennte Verbreitungsareale, eine nördlich des Döritz- und Lautergrund, das zweite um Oberküps und Kümmel. Erfreulicherweise scheint die Feldgrille inzwischen einige Lücken im Projektgebiet wieder schließen zur können. So tauchte sie erstmalig 2005 im Gebiet des Schaftriebs Hain auf und hat 2007 auch den freigestellten Weinhügel bei Kaider erobert. Auch unterhalb des Veitsberg bei Dittersbrunn wurden erste Individuen bestätigt. Die Feldgrille benötigt ein Mindestareal von 3 ha intakten Lebensraum, der durch die Freistellungen in diesen Gebieten zurück gewonnen wurde. "Mit dem Ausbau des Verbundsystems bei Sträublingshof (Birkenkof-Morgenbühl-Lohleite) stehen die Aussichten auf einen Lückenschluss der beiden Verbreitungszonen stehen gut", so die Prognose 2008. Seit mindestens 2016 ist diese Gebiet tatsächlich wieder besiedelt worden.

Ansprechpartner


Manfred Rauh

Diplom-Biologe; Geschäftsführung LPV, fachlich zuständig für Maßnahmen nach der Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinie, zusätzlicher Ansprechpartner für alle Fachbereiche

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